Hypochondrie
Wortbedeutung
Herkunftswörterbuch, Ursula Hermann, Orbius Verlag 1993, S. 204
Krankhaft gesteigerte Beobachtung der eigenen
Körperfunktionen und Überbewertung von Beschwerden;
aus griech hypochondrion "unter dem Brustknorpel liegende Körpergegend,
Oberbauch;
aus hypo "unter" und chondros "Brustknorpel",
eigentlich ""Stückchen, Krümchen, Korn";...
Nach anderer Deutung rührt die Bezeichnung daher, daß im
Altertum diese Körpergegend als Sitz der Seele und des Gemüts
betrachtet wurde.
Medizinische Definition
aus Gesundheit und Medizin heute, Prof.Dr.K.U.Benner (Hrsg), Bechtermünz
Verlag 1998, S. 524
Unter Hypochondrie wird eine unrealistische
Befürchtung oder Vermutung, an einer schweren Krankheit zu leiden,
obwohl klinische Befunde gegenteilig sind, verstanden.
Diese Befürchtung kann sich auf den ganzen Körper oder Teile
davon beziehen.
Sie kann als Begleiterscheinung anderer psychischer Störungen,
z.B. Zwangshandlungen, pathologischer Angst, Schizophrenie, Depression
sowie Hirnerkrankungen wie Demenz auftreten.
Hypochondrie scheint bei solchen Menschen häufiger zu sein, die
bereits einmal schwer krank waren oder ständig mit kranken Menschen
zusammengelebt haben.
Man vermutet eine daraus hergeleitete übertriebene, vorprogrammierte
Hypersensibilität bezüglich auftretender Körpergefühle,
die als Krankheitssymptom attribuiert werden.
Nicht ausgeschlossen wird eine erblich bedingte Schmerzüberempfindlichkeit.
Weitere begünstigende Faktoren können sozialer Streß
oder ein bestimmter Persönlichkeitstyp sein (Typ A, ordentlich, hartnäckig)
Psychologie
J.Lopez, Ibor in Lexikon der Psychologie, Band 2, Arnold,Eysenck,Meili,
Bechtermünz Verlag,1996, S. 941
Gelegentlich hat man behauptet, daß die Hypochondrie bei Männern
der Hysterie der Frauen entspreche.
Gegenwärtig versteht man unter dem Begriff der Hypochondrie lediglich
ein Syndrom, das sich vor allem bei Bildern von Angstzuständen und
Depressionen zeigt. Der Kranke verspürt Beschwerden und Störungen
nicht nur im Bauch, wie die etymologische Herkunft des Wortes vermuten
läßt, sondern im ganzen Körper.
Psychiatrie
Wörterbuch der Psychiatrie und der medizinischen Psychologie,
Peters, Bechtermünz Verlag 1997, S.241-242
Nach diesem Werk wird das in unserem Sinne verstandene Syndrom als
"hypochondrischer Wahn" (S.242) verstanden:
Wahnhafte, auch bei eindeutigen Gegenbeweisen unkorrigierbare Überzeugung,
an einer schweren, evtl. nicht feststellbaren, unheilbaren Krankheit zu
leiden.
Steigerung der hypochondrischen Idee ins Wahnhafte.
Findet sich in ausgeprägter Form besonders bei endogener Depression:
die anderen depressiven Erscheinungen können dagegen ganz in den Hintergrund
treten, die wirkliche Krankheit, die Depression, wird vom Kranken verneint.
In der Psychiatrie wird innerhalb der Hypochondrie nach Symptomfeldern
unterschieden, so ist jedem Erscheinungsbild eine Definition zugeordnet;
z.B. "zirkumskripte H.", mit einem eng beschriebenen Körpergebiet,
"topische H." meist in der Magengegend lokalisiert,
Psychoanalytische Theorie
in Wörterbuch der Psychiatrie und der medizinischen Psychologie,
Peters, Bechtermünz Verlag 1997, S.241/Hypochondrie
Nach psychoanalytischer Theorie handelt es sich um eine Verschiebung
von Aufmerksamkeit und Interesse auf eine isolierte Störung des eigenen
Befindens. Dadurch wird Angst gebunden, zwischenmenschliche Konflikte werden
nach innen verschoben und das eigene Selbstwertgefühl dabei gerettet.
Kraepelin-Syndrom traumatische Hypochondrie
in Wörterbuch der Psychiatrie und der medizinischen Psychologie,
Peters, Bechtermünz Verlag 1997, S.296-297
Bezeichnung nach Emil Kraepelin, 1856-1926, Schüler Wundts,
Autor des Lehrbuches der Psychiatrie in 8 jeweils erweiterten und modifizierten
Auflagen
Gründer der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie/München
(1917)
Kraepelin bezeichnete die traumatische Hypochondrie als Schreckneurose,
das "unmittelbar den Aufregungen eines Unfalls seine Entstehung verdankt".
Wird von Kraepelin deutlich von der Unfallneurose Oppenheims (tritt erst
länger nach einem Unfall auf, ist eher physiologisch begründet)
abgehoben.
Nach den Erfahrungen des 1.Weltkrieges wurde hierunter auch Wunsch-
und Zweckreaktionen verstanden
Als Symptome werden genannt:
mürrische Verstimmung, allgemeine Verlangsamung, vegetative Übererregbarkeit,
Schlafstörungen.
Die Kraepelin´sche Konzeption ist nicht allgemein anerkannt,
in der deutschen Literatur selten, häufiger in der französischen.
DSM IV
-
(Kriterium A)
-
übermäßige Beschäftigung mit der Angst
oder Überzeugung hinsichtlich einer ernsthaftenm
-
Erkrankung aufgrund Fehlinterpretation von Symptomen
-
(Kriterium B)
-
auch ohne medizinische Diagnose bleibt die Angst bestehen
-
(Kriterium C)
-
jedoch kein wahnhaftes Ausmaß/ subjektive Selbstkritikfähigkeit
bleibt erhalten
-
(Kriterium D)
-
soziale und berufliche Beeinträchtigung als Folge des
Kriterium A
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(Kriterium E)
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mindestens 6 Monate anhaltend
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(Kriterium F)
-
wird nicht besser durch Generalisierte Angststörung,
Zwangs-/Panikstörung, Major Depression oder andere somatoforme Störung
erklärt
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Codierung
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Zusatzcodierungen
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mit geringer Einsicht
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zugehörige Beschreibungsmerkmale und Störungen
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ausführliche und detaillierte Anamnese
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doctor shopping
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schlechte Arzt-Patienten-Beziehung häufig
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Widerstand gegen psychologische oder psychiatrische Behandlung
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Komplikationen als Folge wiederholter diagnostischer Prozeduren
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hohe Kosten
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Belastung sozialer Beziehungen
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komplette Invalidität möglich
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Auslöser oft Kindheitserfahrungen oder psychosoziale
Belastungen (Tod eines Angehörigen)
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oft auch andere psychische Störungen
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Angst
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depressive Störungen
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Beschreibung vielfältiger körperlicher Symptome
ohne Diagnose können zu oberflächlicher
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Behandlung führen
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Prävalenz
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4 - 9% in Allgemeinpraxen geschätzt
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keine Geschlechtsunterschiede
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Verlauf
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meist im frühen Erwachsenenalter
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chronischer Verlauf mit wechselnder Intensität
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vollständige Remission möglich
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Differentialdiagnose
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medizinischer Krankheitsfaktor
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körperliche Symptome (eher bei Kindern)
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im Alter eher realistische Gesundheitssorgen (affektive Störung)
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generalisierte Angststörung
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Zwangs-/Panikstörung
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Major Depression
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Trennungsangststörung
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andere Somatoforme Störung
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Spezifische Phobie (Angst vor einer Krankheit)