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Soziale Einflüsse von Minoritäten in Gruppen
Literatur:
Theorien der Sozialpsychologie Bd. II(Frey/Irle Hrsg) Kognitive Theorien Verlag Hans Huber 2.Aufl.1993 Sozialpsychologie (Frey/Greif) Ein Handbuch in Schlüsselbegriffen 4.Aufl.1997 Beltz Verlag Psychologie Verlags Union



1.Definition
Minorität
- numerisch/statistisch >>>  Gruppe, die kleiner ist, als eine Vergleichsgruppe
- sozial >>> gesellsch. Subgruppe, die sich kulturell und/oder physisch vom Rest der Gesellschaft unterscheidet
            >>> wird von der Majorität als minderwertig angesehen (Vorurteil)
            >>> Diskriminierungen ausgesetzt
            >>> auch soziale Minorität, wenn numerische Überzahl ( Schwarze in Südafrika)

2 Forschungszweige in der Sozialpsychologie:
    1. Erforschung der Stereotypisierung, Vorurteile, Diskriminierung (Kurt Lewin)
    2. Gegenseitige Einflußprozesse zwischen Minoritäten und Majoritäten

Die hier beschriebene Theorie befasst sich mit dem letztgenannten Bereich.

2. Die Grundannahmen der Theorie von Moscovici
- sozialer Einfluß von Minderheiten in Gruppen
- historische Beobachtung, daß die Mehrzahl sozialer und wissenschaftlicher Innovationen von Minderheiten ausgelöst wurden
  selbst, wenn diese keine Macht- und Statusvorteile hatten
- Minderheiten üben dann sozialen Einfluß aus, wenn sie einen Konflikt mit der Majorität auslösen und der dominanten Position
  einen alternativen Standpunkt entgegensetzen
- konsistenter Verhaltensstil: unbeirrbares Beharren auf dem alternativen Standpunkt, auch gegen sozialen Druck
  - führt einen unlösbaren Konflikt und damit soziale Instabilität herbei
  - erweckt den Eindruck von Sicherheit und Überzeugtheit
- Moscovici nennt weitere potentiell bedeutungsvolle Verhaltensstile: Engagement, Unabhängigkeit, Rigidität, Fairneß
  - Konsistenz ist jedoch als Grundlage anzusehen (andere Verhaltensstile nicht überprüft)

3. Forschung
- Umkehrung eines Experimentes von ASCH (Asch-Konformitätsparadigma):
  - Vpn wird mit mehreren Mitarbeitern des Versuchsleiters und deren übereinstimmend falschem oder ungewöhnlichen Urteil
    über ein Objekt konfrontiert. Ohne soziale Unterstützung seitens einer weiteren Vpn beugt sie sich häufig der Mehrheits-
    meinung

- Zwei Mitarbeiter des Versuchsleiters repräsentieren die Minorität
- Majorität sind vier - hinsichtlich des Versuches - naive Versuchspersonen
- im Sehtest wurde allen volle Sehfähigkeit bescheinigt
- Vpn sollten nun die Farbe von blauen Dias benennen, die sich nur hinsichtlich ihrer Farbintensität unterschieden
- diese Aufgabe wurde von der Kontrollgruppe (6 "naive" Vpn) fehlerfrei gelöst
- in der Experimentalgruppe bezeichneten die MA des Versuchsleiters die Dias konsistent alsgrün
Ergebnis:
-  8,4% aller Antworten lauteten grün
- 32% aller Versuchspersonen gaben zumindest einmal an, grün gesehen zu haben
- bei inkonsitenter Farbangabe (mal blau, mal grün) war kein sozialer Einfluß feststellbar

Dieses Experiment wurde in einer Vielzahl von Folgeexperimenten unter den unterschiedlichsten Gesichtspunkten repliziert und immer wieder bestätigt:

1. Konsistente Minoritäten üben sozialen Einfluß aus,
    inkonsistentes Verhalten beeinträchtigt Wahrnehmung und Verhalten der Majorität nicht
2. Konsistenten Minoritäten werden Sicherheit und Überzeugung zuattribuiert

Es wurde in einigen Experimenten beobachtet, daß konsistente Minoritäten häufig als kompetenter angesehen werden, auch
wurde diesen Personen häufiger Führungsrollen zugeteilt, vor allem, wenn diese ihrer Sicherheit nicht nur verbal, sondern auch non-verbal (Sitzplatz am Kopfplatz eines Tisches) Ausdruck verliehen.

ZEIT ist ein bedeutender Faktor, denn die wahrgenommene Sicherheit und Überzeugtheit muß lange unter Beweis gestellt werden. (spielt jedoch im Konformitätsprozess keine Rolle)

- ist ein Mitglied der Minorität isoliert, wird ihm mehr Sicherheit und Überzeugung, aber weniger Kompetenz zugeschrieben,
  als einer Minorität aus mehreren Personen

- Minorität hat keine Sympathie, sondern wird abgelehnt und sogar bedroht
  - besonders
  - wenn Minorität Einzelindividuum
  - bei rigidem Verhandlungsstil
  - bei weiterer Enfernung von der Majoritätsmeinung
  - wenn es nicht gelingt, zumindest eines der Majoritätsmitglieder zu einer Teilzustimmung zu bewegen

3. Weitere Variablen im Beeinflussungsprozess durch Minoritäten
3.1. Rigidität
- ursprünglich  (im 1.Exp. v. Moscovici 1969) wurde Konsistenz als rigide Wiederholung derselben Antwort operationalisiert
- Effizienz steigt, wenn der Standpunkt weniger dogmatisch, dafür mehr flexibel vertreten wird, ohne jedoch die logische
  Konsequenz aufzugeben
- Konzeptionelle Unterscheidung zwischen Verhaltensstil und Verhandlungsstil
  - Verhaltensstil bezieht sich auf die logische Konsequenz der Position
  - Verhandlungsstil beschreibt die Flexibilität oder Rigidität der Positionsverteidigung

Dabei ist konsistent-flexibler Verhandlungsstil zwar häufig, jedoch nicht immer effektiver.



Rigidität setzt die Einflußmöglichkeit einer Minorität herab, wenn
 - große Diskrepanz zwischen Majoritäts- und Minoritätenmeinung
 - die Minorität von einem einzelnen Individuum vertreten wird (Verhalten leicht idiosynkratisch erklärbar:Dogmatismus)
 - der Majorität eine psychologische Erklärung für das  abweichende Verhalten naheliegt (Arroganz/Dogmatismus)


Die damit verbundene "Psychologisierung" von Minoritätsstandpunkten ist eine weitverbreitete Reaktion, die in vielen Fällen auch zu Einweisung in psychiatrische Krankenhäuser führen/geführt haben.

3.2. Normativer Kontext
- Minoritäten waren/sind dann besonders erfolgreich, wenn
  - Originalität und Kreativität mehr erwünscht war/ist, als Objektivität
  - Normtrend und Zeitgeist bereits in die Richtung der Minoritätenstandpunkte weisen

3.3. Generalisierung auf soziale Minoritäten
- soziale Minoritäten (Gastarbeiter, Homosexuelle, Sektenmitglieder) haben weniger Einfluß als Meinungsminoritäten
  - in Diskussionen wird sozialen Minoritäten Eigeninteresse zugeschrieben, was das Gewicht der Argumente reduziert
- weitere Generalisierung aufgrund der bislang nur auf Kleingruppen beschränkte, jedoch nicht auf natürliche Gruppen
   ausgeweitete Untersuchungen nicht möglich
- ungeklärt ist auch, inwieweit Wahrnehmungsprozesse und Informationsverarbeitung in der wirklichen sozialen Interaktion
  der Minorität durch Schemata mitbestimmt werden, die durch Massenmedien oder Vorerfahrung determiniert werden
- Inter- und intrapsychische Prozesse sind noch weitestgehend unerforscht
  - Moscovocis Theorie macht explizite Aussagen über vermittelte Attributionsprozesse

3.4.Vergleichsstudien
- öffentliche Zustimmung zu einer Minderheit führt zu privaten, internalisierten Einstellungsänderungen
- im Konformitätsparadigma (Asch) wurde nur eine oberflächliche Anpassung an die Majoritätsmeinung beobachtet, ohne
  daß private Einstellungen betroffen wurden.

Vergleich von Minoritäts- und Majoritätseinfluß
- Vpn sollten die Länge unterschiedlicher Linien in einer optischen Illusion zunächst öffentlich und dann privat einschätzen
- angebliche andere Vpn, die sich jeweils in der Minorität oder Majorität befanden, äußerten eine von der Vpn abweichende
  Meinung
Ergebnis:
Waren die Manipulateure in der Majorität(Konformitätsparadigma), paßten die Vpn ihre Antworten öffentlich an die der
anderen Teilnehmer an, behielten aber ihre Meinung privat bei.

Waren die Manipulateure jedoch in der Minorität (Minoritäteneinflußparadigma), modifizierten die Vpn ihre private Meinung, jedoch nicht die öffentliche.
Die ursprüngliche Theorie Moscovicis kann diese Phänomene nicht erklären

3.5. Die Konversionstheorie
- Moscovici (1980) als Ergänzung zur ursprüngliche Theorie über Minoritäteneinfluß
- eine konsistente Minderheit löste eine internalisierte Einstellungsänderung (Konversion) aus, während eine
  konsistente Majorität zu einer oberflächlichen Anpassung an die Mehrheit führt, solange der Gruppendruck bestehen bleibt
- tatsächliche Einstellungsänderung also nur unter dem Einfluß von Minoritäten, diese wird aber nicht gezeigt, da eine
  öffentliche Identifikation mit der Minderheit vermieden werden soll

- je größer der Konflikt und je problematischer die öffentliche Einstellungsänderung sich darstellt, umso größer ist die
  Wahrscheinlichkeit einer privaten, und umso geringer die Wahrsch. einer öffentlichen Einstellungsänderung
- beim Minderheiteneinfluß stehen kognitive Prozesse im Vordergrund (was ist richtig?)
- beim Majoritäteneinfluß entstehen interpersonelle Konflikte (Wer von uns hat Recht?)

- Kognitiver Prozess führt zu Validierung, d.h. einer internalisierten Einstellungsüberprüfung und ggfls. -änderung
- bei Majoritäteneinfluß werden entgegengesetzte Meinungen miteinander verglichen, ohne daß neue Argumente  und
  Gegenargumente generiert werden. Dieser oberflächliche Vergleichsprozess führt zu einer Anpassung an die Majorität
  in der Öffentlichkeit, während die private Meinung beibehalten wird

3.5.1. Experimente zur Konversionstheorie
- flexibel argumentierende Minoritäten beeinflußten öffentliche und private Einstellungen, während rigide Minoritäten kaum
  Einfluß auf die öffentlichen, jedoch einen weit stärkeren Einfluß auf die privaten Meinungen ausübten.
  (Exp. v. Mugny, 1982)
- wird der Kontrast in den Meinungen zu scharf, verliert die rigide Minorität an Einfluß, während flexible Minoritäten in
   stärkerem Maße die privaten als die öffentlichen Meinungen beeinflussten (Mugny & Papastamou 1975-1976)
Moscovicis Konversionstheorie besagt, daß Minderheiteneinfluß spezifische Effekte
(private Einstellungsänderungen) hervorruft, denen Prozesse (kognitiver Konflikt, Validierung)
zugrunde liegen die von anderen sozialen Einflußgrößen klar unterschieden werden können.

Minoritäten verursachen kognitive Konflikte, Majoritäten interpersonelle Konflikte

4.Alternative Erklärungen
4.1. Hollanders Theorie der idiosynkratischen Kredite
- ursprünglich als Führungsmodell gedacht
- Minoritäten können dadurch sozialen Einfluß ausüben, indem sie sich zunächst der Majorität anpassen, und dabei ihre
   Kompetenz beweisen. Erst dann soll die Minorität beginnen, einen alternativen Standpunkt einzubringen.
- nach Hollander müssen idiosynkratische Kredite (erworbene Statusvorteile, z.B. Kompetenz) wirken, um
  minoritätsbasierte  Einstellungsänderungen zu bewirken
- im Experiment bewies sich der Einfluß konsistenter Minoritäten, wobei Hollanders Strategie der anfänglichen Anpassung
  einen stärkeren Einfluß erzeugte.
- es wird interpretiert, daß die anfängliche Anpassung den Einflußprozess der Minorität nur zusätzlich verstärkt
- belegt wurde eine stärkere Einstellungsänderung bei männlichen Vpn
- methodische Unterschiede:
   - bei Hollander sollten die Vpn sich über 3 verschiedene Fragestellungen hinweg konsistent zeigen.
   - Moscovici postuliert zeitliche Konsistenz innerhalb EINER Fragestellung

4.2. Latane´s Theorie zum sozialen Einfluß (social impact theorie)
- sozialer Einfluß beruht auf der multiplikativen Funktion von 3 Faktoren:
  Kraft (Macht, Status,Expertise)  x Nähe   x Anzahl der Gruppenmitglieder

- die erste Person übt den stärksten Einfluß aus, jedes weitere Mitglied übt zusätzlichen, jedoch abnehmenden Einfluß aus
- bleiben also die Parameter "Nähe" und "Anzahl" gleich, wird die Majorität immer den größeren Erfolg haben
- durch konsistentes Verhalten (Kraft) kann die Minorität die numerische Unterlegenheit kompensieren

4.3.Tanford & Penrod´s Modell der sozialen Einflußnahme
- im Gegensatz zum Latane-Modell zunehmende Einflußnahme bis 3 Personen, erst dann abnehmend (S-förmige Kurve)
- Einflußhöchstgrenze begrenzt weiteren Einflußzuwachs
- das Modell ist besonders zur Vorhersage öffentlicher Einstellungsänderungen (Einfluß von Majoritäten) geeignet

4.4. Der Sleeper-Effekt
- eine Minorität und deren Kommunikation bleibt besser in Erinnerung
- daher wird ein sleeper-effekt ausgeschlossen

4.5. Elaborations-Wahrscheinlichkeits-Modell
- Petty & Cacioppo
- nicht zu verwechseln mit dem Elaboration-Likelihood-Modell
- Ergebnisse der Konversionstheorie werden jedoch darin eingegliedert
- prinzipiell große Ähnlichkeit, aber:
- Bedeutung des personellen/interpersonellen Konfliktes
- Generalisierungsgrad der beiden Modelle unterschiedlich

- bei Moscovici sind neben dem ursprünglichen Ansatz, daß Konflikt Grundlage der Einflußnahme bilden, qualitativ
  unterschiedliche Konfliktarten: interpersonelle und kognitive
- hierbei könnten emotionale Prozese eine wichtige Rolle spielen (bislang nicht erforscht)
  - bei unlösbarem Konflikt mit Minorität vielfach Aggression beobachtet
  - in anderen Fällen Rückzug vom Konflikt/ der Minorität



Hinweis: Attributionstheoretische Interpretation S. 80-82 im Buch


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