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Die
Theorie der psychologischen Reaktanz
Literatur:
Theorien der Sozialpsychologie Bd. I (Frey/Irle Hrsg)
Kognitive Theorien Verlag Hans Huber 2.Aufl.1993
Sozialpsychologie (Frey/Greif) Ein Handbuch in Schlüsselbegriffen
4.Aufl.1997 Beltz Verlag Psychologie Verlags Union
- erlebt eine Person, die glaubt,
sich in einer bestimmten Situation grundsätzlich frei verhalten zu
können, eine Einengung, so daß die Freiheit geringer oder ganz
aufgehoben wird, entsteht psychologische Reaktanz
- Reaktanz ist ein motivationaler Erregungszustand
mit dem Ziel, eine bedrohte oder abnehmende oder gänzlich eliminierte
Freiheit wiederherzustellen.
- dies kann durch kognitive Verarbeitungsstrategien (Aufwertung/Abwertung),
bis zu aggressivem Verhalten geschehen
- R. ist umso stärker,
- je mehr
Freiheiten bedroht sind
- je wichtiger
die bedrohte Freiheit ist
- je stärker
die Freiheitsbedrohung ist
- Die Wichtigkeit der Freiheit bestimmt sich an der Erwartung
dieser Freiheit und von der Befriedigung durch diese Freiheit
- die Attraktivität der verlorenen Freiheit steigt
- Freiheitseinengung mit bedrohlichen Implikationen für
die Zukunft führt zu stärkerer Reaktanz
- dies kann auch der Fall sein, wenn eine Person als
Zeuge die Einengung anderer Personen beobachtet, oder davon erfährt,
und impliziert, daß dies sie selbst auch betreffen könnte
- gleiches gilt für vorgewarnte Personen, die z.B.
informiert sind, daß sie mittels einer Radiosendung zu einer bestimmten
Meinung überredet werden sollen (Petty & Cacioppo, 1979)
- Integration der Theorie der erlernten Hilflosigkeit
(Seligman, 1975) :
durch fortgesetzte Freiheitseinengung kommt es nach anfänglichen
Widerstandsreaktionen mangels Kontrollerlebens zum Gefühl der Hilflosigkeit
und passivem Verhalten
- Reaktionsunterschiede begründen Wortman &
Brehm durch die Erwartung, Kontrolle ausüben zu können, determiniert
-ist die Kontrollerwartung hoch, so
führt ein unkontrollierbares Ereignis zu Aktivität, um die Kontrolle
wiederzuerlangen
- ist diese Aktivität wiederholt erfolglos, führt
diese Erfahrung zu Hilflosigkeit.
- hier besteht ein direkter Bezug zu den Kontrolltheorien
- Erstreaktionen bei Freiheitseinengung sind Widerstand
und Aggression (negativistisches Verhalten)
- subjektive
Effekte:
kognitive Umstrukturierung ----->
kaum (nicht) kontrollierbar= höhere Auftretenswahrscheinlichkeit
- Verhaltens-Effekte
Aktionen gegen den Einenger ---> Verhalten oft anti-sozial auf Wiederherstellung
des eigenen Freiheitsspielraumes gerichtet
Verlassen der Situation
- aggressives, anti-soziales Verhalten wird i.d.R. nicht von einer sozialen Gemeinschaft akzeptiert, daher wird R. eher im Denken als im "Tun" abgebaut
- wenn R. als motivationale Erregung definierbar ist,
müßten physiologische Veränderungen meßbar sein
- Baum, Flemming,& Reddy (1986)
- Personen mit hoher Kontrollerwartung
(keine oder erst kurze Arbeitslosigkeit) hatten nach Erfahrung mit
Nicht-Kontingenzen (eben
negativen Ergebnissen) höhere Norepinephin und Epinephin-Konzentrationen
im Urin.
- Problem: Operationalisierung ist sehr schwierig und sollte immer in der Konzeptbeschreibung enthalten sein.
- latente Reaktanz: Vpn zeigen keinen Widerstand, sondern nur weniger starkes Nachgeben gegenüber einem sozialen Einfluß (Supermarktexperiment)
- Romeo & Julia-Effekt: Intensivierung der
Liebesgefühle bei einem Verbot einer Beziehung ebenso wie beim "hard-to-get"-Phänomen.
Die Freiheit wird durch Aufwerten der bedrohten Freiheit (hier Partner)
wieder hergestellt, im Verhalten zeigt sich Opposition.
- Experimente mit Keksen (Worchel, Lee & Adewole
1975): Knappheit, Abnehmen des Vorrates und große Nachfrage vergrößern
den Wert eines Gutes
- Akzeptanz (z.B. aus sozialen Gründen, aus Glaubwürdigkeitsgründen oder selbstauferlegter Freiheitseinengung) ruft keine psychologische Reaktanz hervor
Manifestationen von Reaktanz
1. Direkte Wiederherstellung der Freiheit
- bei Vorgabe, man dürfe heute nur Brot der Marke
X kaufen, wird die Freiheit durch Kauf der Marke Y wiederhergestellt
- dies gilt nicht
wenn kein Brot der Marke X mehr vorhanden ist
wenn offener Widerstand negativere Folgen hätte, als es die Freiheitseinengung
darstellt
2. Indirekte Wiederherstellung der Freiheit:
- Ausweichen auf eine dem bedrohten Verhalten ähnliche
Handlung (Kauf Brotsorte Z)
- Kauf Brot X, wenn Alternative vorgegeben (Kaufe dieses
oder jenes)
- Motivation einer anderen Person, Brot Y zu kaufen,
oder Person 2 dabei beobachten
3. Aggression
- R. führt zu einer Abnahme der sozialen Orientierung
- R. ist oft mit Aggression verbunden
- Aggression gegen Personen: soziale Quelle der R. wird
bekämpft (functional aggression / reflexive fighting)
- Aggression gegen unbelebte reaktanzerzeugende Freiheitseinenger
deuten auf Erregungsabfuhr hin (Ventilfunktion)
4. Attraktivitätsveränderungen
- wenn Freiheitswiederherstellung durch Handlung nicht
möglich
- besonders bei Freiheits-Ausschaltung zu beobachten
- Reaktanz als Folge der Bedrohung einer Alternative
führt zur Attraktivitätssteigerung dieser Alternative
Delay- oder Sleeper-Effect: die Reaktanz wird gespeichert, bis sich die Möglichkeit ergibt, die verlorene Freiheit wieder herzustellen
- bei Mißerfolgserlebnissen zeigen Personen mit hohem Selbstwert Reaktanz, solche mit niedrigem Selbstwert dagegen Hilflosigkeit
- Reaktanzfragebogen von Merz (1983): 18 Items in Ich-Form.
-macht Aussagen über die Bereitschaft
einer Person, psychologische Reaktanz zu mobilisieren
- hoher Testwert= niedrige Toleranzschwelle
= viel Reaktanz/ niedriger Testwert: Unempfindlichkeit gegen Reaktanzerzeugung
- Korrelation des Fragebogens mit Autonomie- und Dominanzstreben,
Nervosität, emotionaler Labilität, Unsicherheit und Gehemmtheit,
Depression und ähnlichen Attributionsmustern
- besonders unsichere Personen müssen zum Schutz
des eigenen Freiheits- und Kontrollspielraumes rebellierend reagieren
Reaktanz bei Hilfeersuchen
- Fall Genovese: 38 Personen beobachteten die Ermordung
einer Frau ohne einzugreifen
- Berkowitz (1970) erklärt dies: wenn die um Hilfe
gebetene Person sich durch die Bitte um Hilfe in ihrer freien Entscheidung
eingeengt fühlt, entsteht Reaktanz.
Schwartz (1974) wies in einem Experiment nach, daß
starke Bedeutung der Hilfe (und der zukünftigen Konsequenzen derselben)
wie illegitimer Druck wirkt. Sind die Konsequenzen bewußt, sinkt
die Reaktanz-Schwelle, und es kommt leichter zur Hilfeverweigerung
- Jones (1969/1970): einer abhängigen Person wird
weniger Hilfe geleistet, wenn es möglich war, Hilfe zu verweigern
- generell zeigt sich stärkere Hilfeverweigerung,
wenn man sich eingeengt oder moralisch verpflichtet fühlt
- besondere Form der Freiheitseinengung, wenn der Hilfesuchende
zuvor dem Helfer einen Gefallen getan hat - auch hier entsteht durch den
Gefallen für den später Helfenden ein "Bestechungsversuch", der
dessen Entscheidungsfreiheit einengt, so daß dieser demonstrativ
die Hilfe verweigert.
- Harris & Meyer (1973) differenzieren nach öffentlich
kontrolliertem Verhalten (keine Hilfeverweigerung möglich) und nichtkontrolliertem
Verhalten. In den Arbeiten von Jones (1969,1970) wurde die Hilfe nur verweigert,
wenn dies möglich war.
- dennoch bleibt die Annahme, daß bei starkem normativem
Druck das private Reaktanzverhalten anders ausfällt, als ohne öffentliche
Kontrolle.
Kontrolltheorie
- nicht der Verlust der Wahlfreiheit zwischen Alternativen
führt zu Reaktanz, sondern der Verlust von Kontrolle über die
Ereignisse
Kognitive Dissonanz
- Entscheidungen zwischen 2 Alternativen führen
zur Eliminierung der nicht gewählten
- nach der Dissonanztheorie steigt die Attraktivität
der gewählten Alternative, die der nichtgewählten Alternative
sinkt (spreading apart-Effekt)
- bei der Reaktanztheorie soll die Attraktivität
der nicht gewählten Alternative steigen, und die der gewählten
an Attraktivität verlieren (regret Effekt)
- Cervi-da-Costa zeigt in einem kritischen Experiment
zu beiden Theorien, daß eher dissonanztheoretische Vorhersagen eintreffen
Negative Attitüdenänderung (Bumerang-Effekt)
- Zensur macht den verbotenen Inhalt attraktiver = Attitüdenänderung
in die verbotene Richtung
- Verhaltensvorhersagen als besondere Art der Festlegung
auf eine Attitüde haben unbeabsichtigte Wirkungen dergestalt, daß
die sich in der Vorhersage wiederfindenen Personen diese Vorhersage als
Freiheitseinengung auffassen, und zur Wiederherstellung ihrer Freiheit
anders als vorhergesagt reagieren
Negativistisches Verhalten in psychologischen Experimenten
- Vpn fühlen sich durch Versuchsleiter eingeengt,
und boykottieren aufgrund psychol. Reaktanz
- unerwünschte, evtl.sogar gefährlich
verfälschende Nebeneffekte möglich (Artefakte)
Territorialverhalten
- räumliche Enge erzeugt unangenehme Einengung
und damit Reaktanz
- bei Diskussion in einem sehr kleinen Raum erzeugt körperliche
Nähe feindselige Gefühle, und es wird versucht, Reaktanz abzubauen
- Territorialverhalten wird erklärt als Freiheits-und
Kontrollmacht zur Sicherung des privaten Lebensraumes.
Invasionen und Barrieren wirken freiheitseinengend und
rufen Reaktanzmotive mit entsprechenden Effekten hervor.
Kaufverhalten
- Brotexperiment (siehe oben)
- kein Einfluß: 24% kauften Brotsorte X
- mäßiger Einfluß (Bitte kaufen Sie...)
70% kauften Brotsorte X
- starker Einfluß (Sie müssen kaufen...) nur
51% kauften Brotsorte X
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Fragebogen mit Geldbeifügung
- generell Erhöhung der Rücklaufquote
aber wenn zu hoher Geldbetrag (starker monetärer
Einfluß), kam entweder das Geld oder der unausgefüllte Fragebogen
zurück
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Mensa-Essen
West (1975) fand, daß sich die Einstellung zu einer bestimmten Mensa (bzw. dem dort offerierten Essen) sich deutlich verbesserte, wenn die Studenten die Information erhielten, daß die Mensa A für 2 Wochen geschlossen werden (Vorwand: ein Feuer) Eine nur mäßig attraktivere oder gar negativ beurteilte Alternative wird besser beurteilt, wenn sie eliminiert wird.
Interpersonale Attraktivität und romantische Liebe
- aufdringlich und erdrückend empfundene Zuneigung
engt den Freiheitsspielraum ein
- Entzug eines bestimmten Partners (Romeo & Julia
Effekt, siehe auch oben) wird als Freiheitsbedrohung erlebt
- ein sich rar machender Partner gewinnt an Attraktivität
- aus der Gruppendynamik bekannt: Auftreten eines äußeren
Feindes steigert den Zusammenhalt von Gruppen
Gesundheitspsychologie
- Alkoholiker bei einer Therapie das Gefühl der
internen Kontrolle
- Reaktanz tritt auf bei Behandlungsarten, die interne
Kontrolle vermeiden oder verhindern (konditionieren)
- bei Typ-A-Herzinfarkt-Patienten, die sich für alles verantwortlich fühlen und sehr sensibel auf alle außergewöhnlichen, sie einengenden Ereignisse reagieren, wirkt der entstehende Widerstand gegen die Behandlung heilungshemmend.
- Vermeidung von Reaktanz und Kontrollverlustgefühlen wenn Senioren, die statt in ein Alten/Pflegeheim "eingewiesen" wurden, selbst diesbezügliche Entscheidungen treffen konnten.
Kindererziehung
- U-förmige Beziehung zwischen Wichtigkeit von Freiheit
und erzieherischen Verboten
- nach zunächst verstärkter verbotener Handlung
schwächt sich das Auftreten ab
- Widerstand zeigt sich nur, wenn die Freiheitsaktivitäten
(Trotzverhalten) hin und wieder erfolgreich waren
- soll das unerwünschte Verhalten endgültig
gelöscht werden, darf das Kind keinerlei Erwartung haben,dieses Verhalten
ausführen zu können
- Abwägen zwischen autoritärer und permissiver
Erziehung
- wenn Gehorsam gewünscht, darf keine Verhaltensfreiheit
möglich sein
- bei kreativem Entwicklungsziel (Schaffung von Verteidigungsstrategien
gegen Verbote), genügen GEBOTE
- vermeidet man Verbote, vermeidet man auch Reaktanz
Kriminologie und forensische Psychologie
- bei versuchter Einflußnahme auf die Urteilsfreiheit
von Vpn (Angabe eines Schadens für den Angeklagten bzw. Urteil des
Staatsanwaltes gegen den Angeklagten) tritt Reaktanz auf
Reaktanz bei Tieren?
- mentalistisches Freiheitskonzept nicht verbal verifizierbar
- Reaktanz ist allerdings nicht nur abstrakte "Freiheit",
sondern bezieht sich auf konkrete Verhaltensmöglichkeiten
- in anderen Forschungsbereichen wurden bei Tieren Verhaltensmuster
beobachtet, die große Ähnlichkeiten zum Reaktanzverhalten aufweisen
- psychologische Forschung wird im Text nicht beschrieben